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Ich bin stinksauer

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Ich bin stinksauer

In den letzten Monaten vor seiner schweren Krankheit und seinem darauf folgenden Tod arbeitete mein Vater wie ein Besessener an einem letzten, ehrgeizigen Projekt – ein Bildband über Karlsruhe, früher und heute.

Aber nicht so kitschpostkartenhaft wie man jetzt vielleicht denken möchte, sondern, in seinen eigenen Worten:

Als Kind hatte ich den Wiederaufbau erlebt. In den 70er Jahren dann mußte ich zusehen, wie markante Gebäude abgerissen wurden, die den Krieg glücklich überstanden hatten, eins nach dem andern. Nicht genug: Man vernichtete uralte gewachsene Strukturen, verlegte Flußläufe, bastelte künstliche Landschaften zusammen. Was ich als meine Heimat angesehen hatte, wurde unwiederbringlich zerstört und ich konnte nichts dagegen tun! Wenigstens mit Bildern wollte ich mir eine Erinnerung erhalten. Und so zog ich los und fotografierte alles, was mir wichtig erschien. Manchmal kam ich zu spät.
40 Jahre danach habe ich die damals fotografierten Örtlichkeiten noch einmal aufgesucht und den heutigen Zustand aus möglichst gleicher Perspektive aufgenommen. Manchmal hatte ich Tränen in den Augen.

Er arbeitete Tag und Nacht daran, mit einer unglaublichen Energie… obwohl er schon deutlich spürte, wie seine Kräfte schwanden.

Alle möglichen Verzögerungen und Komplikationen sorgten dafür, dass er die Veröffentlichung seines Werkes nicht mehr miterleben würde. Aber wir Angehörigen hatten zumindest den Trost, dass das Buch, das ihm so viel bedeutete und für das er seine letzte Kraft gab, posthum erscheinen würde. Man konnte es sogar noch zu seinen Lebzeiten vorbestellen (auch wenn er davon nichts mehr mitbekam).

Das letzte Bild, das es von meinem Vater und mir gibt. Tausend Dank an Katja dafür.

Das letzte Bild, das es von meinem Vater und mir gibt. Tausend Dank an Katja dafür.

Heute nun erreicht mich die Nachricht vom zuständigen Verlag, dass man sich dazu entschlossen habe, das Buch nicht zu veröffentlichen.

Aber gütigerweise bietet man meiner Mutter 500 (in Worten: fünfhundert) Euro als Quasi-Schmerzensgeld.

Ich kann gerade gar nicht in Worte fassen, wie wahnsinnig sauer ich bin… was für ein unglaublicher, erbarmungsloser Schlag ins Gesicht das ist… sowohl für das Andenken an meinen Vater (der sein Leben lang um Anerkennung kämpfen und immer wieder Enttäuschungen dieser Art verkraften musste, während andere, die sich besser verkaufen konnten, ganz groß rauskamen… vor ein paar Monaten schrieb ich mehr darüber drüben auf dem Botany Bay Blog) als auch für seine Angehörigen, die dieses letzte Aufraffen, seine Besessenheit und seine Hoffnung hautnah miterlebt haben.

Ich bin viel zu sauer als dass ich gerade wüsste, was ich jetzt machen soll. In meinem momentanen Zustand bei den verantwortlichen Menschen vorzusprechen und ihnen zu sagen, in welcher Geschwindigkeit sie sich ihre beschissenen 500 Euro bitteschön Cent für Cent anal einführen dürfen, das empfiehlt sich wohl nicht… zumindest so schlau bin ich.

Aber eins ist sicher: So geht es nicht. Überhaupt nicht.


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